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Synthetische Biologie

Synthetische Biologie - Eine Übersicht

Seit Jahrtausenden züchten Menschen gezielt Tiere und Pflanzen mit bestimmten, vorteilhaften Eigenschaften. Die Entschlüsselung des DNA-Codes, die Entdeckung sequenzspezifischer DNA-schneidender Proteine, die Etablierung der DNA-Sequenzierung und der DNA-Synthese in vitro sowie die Verbesserung des DNA-Transfers in Zellen, lieferten die Grundlagen für gezielte DNA-Veränderungen. Forscher sind seitdem in der Lage, die genetische Information, die mit erwünschten Eigenschaften in Verbindung steht, von einem Organismus auf einen anderen zu übertragen. Auch ist es möglich, von Grund auf neue DNA-Bausteine zu generieren, um so Organismen mit neuen Eigenschaften zu erzeugen.

Was ist Synthetische Biologie?

Hinter den Ideen und Methoden, die sich mit Genomveränderungen beschäftigen, zeichnet sich ein neues Konzept in den Lebenswissenschaften ab: die Synthetische Biologie. Diese geht über die klassische (Molekular-)Biologie hinaus, denn hier werden ingenieurswissenschaftliche Designstrategien mit der Konstruktion biologischer Systeme und Zellen auf genetischer Ebene verbunden. Bioinformatische Methoden werden zur Modellierung von Veränderungen und deren Auswirkungen genutzt, und die Verwendung standardisierter Einzelteile, sogenannter Module, soll die Vorhersagbarkeit der Resultate erhöhen. Insgesamt finden in der Synthetischen Biologie Methoden aus vielen verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen Verwendung, so dass ein breites Spektrum potenzieller Anwendungen entsteht. Zu betonen ist, dass eine Methode per se nicht prinzipiell der Synthetischen Biologie zugeordnet werden kann, wohl aber die daraus resultierende Entwicklung, sofern diese dem ingenieurwissenschaftlichen Konzept folgt.

Die Synthetische Biologie dient der grundlagen- und anwendungsorientierten Forschung. Sie eröffnet neue Wege der Erforschung des Ursprungs des Lebens und seiner grundlegenden Prozesse. Ein Ziel ist es, biologische Systeme mit maßgeschneiderten Funktionen herzustellen und zu nutzen. Darunter fallen Systeme, welche Informationen verarbeiten, Chemikalien produzieren oder modifizieren, Materialien und Strukturen erzeugen und Energie generieren. Mit Hilfe der Synthetischen Biologie sollen z. B. neue Pharmazeutika, Impfstoffe oder Lebensmittelzusatzstoffe produziert werden. Die Synthetische Biologie kann dabei helfen, natürliche Ressourcen zu entlasten, indem z. B. Alternativen zu fossilen Brennstoffen hergestellt werden, und die menschliche Gesundheit zu verbessern.

Die Bedeutung und Möglichkeiten der Synthetischen Biologie spiegeln sich auch darin wider, dass immer mehr Wissenschaftler in diesem Bereich der Forschung tätig sind. So ist seit Beginn des 21. Jahrhunderts die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen, die sich mit Synthetischer Biologie beschäftigen, von etwa 500 pro Jahr auf über 4000 pro Jahr im Jahr 2017 (Quelle: PubMed bei Eingabe des Stichwortes „Synthetic Biology“) angestiegen. Eine Übersicht über die Schlüsselentwicklungen der Synthetischen Biologie zeigt Abbildung 1. 

Nachtrag vom 6.12.2024: Einen aktuellen Zeitstrahl zu Ereignissen der Synthetischen Biologie finden Sie hier im Bereich des Monitorings zur Synthetischen Biologie.

Einige Anwendungen der Synthetischen Biologie besitzen bereits eine Marktzulassung.

Forschungsschwerpunkte der Synthetischen Biologie

Eine allgemeingültige Definition der Synthetischen Biologie gibt es nicht. Insbesondere ist die Synthetische Biologie kein eingrenzbares Forschungsgebiet, sie wird in der Wissenschaft als eine konzeptuelle Herangehensweise verstanden. Die Anwendungsfelder der Synthetischen Biologie werden oft in fünf Bereiche eingeteilt. Eine Übersicht, sowie Anwendungsbeispiele sind folgend dargestellt.

Übersicht über die Forschungsbereiche der Synthetischen Biologie

  • Design und Synthese (künstlicher) Gene und Chromosomen bis hin zu kompletten Genomen und Einbringen in einen Organismus

    • Optimierung und Synthese von Mikroorganismen für Impfstoffe
    • Design optimierter Produktions-Organismen für biotechnologische Anwendungen und Grundlagenforschung
  • Zusammenfügen von Bestandteilen von Signalsystemen verschiedener Organismen zu neuartigen Schaltkreisen; definiertes Signal führt zu erwünschter Reaktion der Zelle

    • Biologische Sensoren, die auf Umweltreize oder auf Stoffwechselprodukte im Körper von Tier oder Mensch reagieren, wodurch ein bestimmtes Produkt abgegeben wird:
      • Diabetes: Glucose-detektierende Zellen, die bei Bedarf Insulin abgeben
      • Lebensmittelindustrie: verdorbenes Fleisch löst Farbstoffproduktion aus
    • angepasste Regulation der Herstellung von Produkten durch Mikroorganismen erhöht die Ausbeute signifikant
  • Einbringen einer Vielfalt von Genen neuer oder alternativer Stoffwechselwege in einen Organismus, damit dieser ein gewünschtes Produkt herstellt

    • Mikroorganismen, die biologische Brennstoffe oder pharmazeutische Verbindungen herstellen
    • biologische Sanierung, Entfernung von Toxinen aus der Umwelt
  • Vereinfachung einer Zelle, sodass diese nur noch die für das Überleben essenziellen Gene aufweist; besonderer Schwerpunkt: Konstruktion von Protozellen ausgehend von chemischen Bestandteilen

    • vereinfachte Modellorganismen zur Erforschung von Zellfunktion und Lebensursprung
    • vereinfachte Produktions-Organismen für biotechnologische Anwendungen liefern höhere Ausbeute
  • Konstruktion von Organismen, die parallel zu den natürlichen existieren und die bestenfalls nicht mit diesen interagieren, da sie einen veränderten genetischen Code oder nicht-natürliche Aminosäuren in ihren Proteinen aufweisen

    • Organismen, die als Sicherheitsstämme dienen, die für ihr Wachstum künstliche Bedingungen benötigen
    • Proteine mit neuen Eigenschaften

Übersicht über die Forschungsbereiche der Synthetischen Biologie
Die Forschung zu Gene-Drives wird nicht als Teil der Synthetischen Biologie angesehen, da es sich um eine moderne Variante der klassischen Gentechnik handelt und kein ingenieurwissenschaftlicher Ansatz verfolgt wird.

Die Forschungslandschaft ist vielfältig, und regelmäßig finden internationale Treffen statt. Diverse Forschungszentren und Netzwerke mit einem Fokus auf Projekte der Synthetischen Biologie haben sich in den letzten Jahren etabliert. Kürzlich wurde die German Association of Synthetic Biology (GASB) gegründet. Für Studenten aus dem Bereich Naturwissenschaften existiert ein großer internationaler Wettbewerb, der International Genetically Engineered Machine (iGEM), an dem mittlerweile über 300 Teams aus der ganzen Welt teilnehmen.

Gesetzliche Regulierung der Synthetischen Biologie

Für die Sicherheitsbewertung der Synthetischen Biologie gibt es keine spezifische Regulierung in Deutschland oder Europa. Da die meisten Forschungsansätze in der Synthetischen Biologie gentechnisch veränderte Organismen (GVO) generieren, kann deren mögliches Risiko mit den bereits vorhandenen Methoden bewertet werden. Diese finden sich in den europäischen Richtlinien 2009/41/EC (Systemrichtlinie, contained use) und 2001/18/EC (Freisetzungsrichtlinie), die im deutschen Gentechnikgesetz (GenTG) umgesetzt worden sind, sowie dem Cartagena-Protokoll über die biologische Sicherheit zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt, einem internationalen Abkommen zwischen 196 Ländern.

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat die ZKBS mit einem Monitoring der Entwicklungen im Bereich der Synthetischen Biologie beauftragt, um die aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen in den verschiedenen Forschungsbereichen sachverständig und kritisch zu begleiten. Das Monitoring dient auch dem Erkennen potenzieller Auswirkungen auf die biologische Sicherheit, die eine Anpassung der bestehenden Regulierungen nötig machen würden. In diesem Zusammenhang prüft die ZKBS, ob die Forschungsvorhaben vom Geltungsbereich des GenTG erfasst werden. Die ZKBS veröffentlichte ihren ersten Monitoring-Bericht zur Synthetischen Biologie [PDF, 107KB] in Deutschland im Jahr 2012. Im Jahr 2018 erschien der zweite ZKBS-Bericht [PDF, 1.22MB] (in englischer Sprache), der den Stand der Forschung in den einzelnen Bereichen der Synthetischen Biologie weltweit zusammenfasst.

Beide Berichte stellen fest, dass die aktuellen Forschungsansätze der Synthetischen Biologie durch bestehende gesetzliche Regelungen, insbesondere durch das GenTG, abgedeckt werden. Gemäß GenTG erfolgt die Risikobewertung entsprechend durch Vergleich der Nukleinsäuresequenz des entstehenden Organismus mit den Sequenzen der Ausgangsorganismen, die für die Erzeugung des Organismus verwendet wurden. Der hergestellte Organismus ist dann ein GVO, wenn (verglichen mit den Ausgangsorganismen) genetische Veränderungen vorliegen, die nicht auf natürlichem Weg durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination entstehen können.

Dementsprechend gilt das GenTG sowohl für das Einbringen von Genen für neue Signalwege und neue Stoffwechselreaktionen als auch für jegliche im Genom vorgenommenen Veränderungen. Auch das Einbringen eines vollständig im Labor hergestellten Genoms in einen Organismus (und ggf. eine gleichzeitig vorgenommene mitunter umfangreiche Veränderung, z. B. Reduktion des Genoms) führt zu einem GVO gemäß dem GenTG, da sich solche synthetischen Genome an einem natürlichen Vorbild orientieren (vgl. Stellungnahmen der ZKBS zu Mycoplasma mycoides JCVIsyn1.0 [PDF, 63KB] und M. mycoides JCVI-syn3.0 [PDF, 840KB]).

Hingegen fallen Modifikationen des Genoms, die auch natürlicherweise entstehen könnten, die DNA-Synthese im Labor (außerhalb von Zellen) sowie einzelne Bereiche der Forschung zur Erschaffung künstlicher Systeme, die außerhalb lebender Systeme stattfinden, nicht in den Geltungsbereich des GenTG. Eine strenge Regulierung wie die des GenTG ist hier nicht nötig, weil von diesen Experimenten kein Gefährdungspotenzial im Sinne des GenTG ausgeht, da sie ohne lebende Organismen durchgeführt werden und unter andere Regulierungen fallen.

Derzeit ist es noch nicht möglich, vermehrungsfähige, artifizielle biologische Systeme herzustellen. Es werden vielmehr separate Bestandteile untersucht. Sollte es eines Tages gelingen, selbst-replizierende Protozellen „am Reißbrett“ herzustellen, so würde für diese kein natürliches Vorbild existieren. Dementsprechend kann die gemäß GenTG auf dem Vergleich mit natürlich vorkommenden (Ausgangs-)Organismen basierende Risikobewertung nicht durchgeführt werden. Vermehrungsfähige Protozellen würden daher neue Kriterien der Risikobewertung benötigen. Protozellen besitzen jedoch nur eine genetische Grundausstattung und enthalten keine Virulenzfaktoren, so dass nicht mit einem erhöhten Gefährdungspotenzial zu rechnen ist. Um den Bedarf einer Erweiterung der Sicherheitsbewertung für die Zukunft frühzeitig zu erkennen, wird jeder Fortschritt in diesem Bereich genau verfolgt und geprüft.

Zusammenfassend birgt die derzeitige Forschung zur Synthetischen Biologie weder in Deutschland noch weltweit andere Risiken für die biologische Sicherheit, als solche, die bereits mithilfe des GenTG und anderer internationaler Regulierungen für „konventionelle“ gentechnische Veränderungen bewertet werden.

Forschungstrends und gesellschaftliche Diskussion

Wie der vorhergehende Text zeigt, ist das Forschungsfeld der Synthetischen Biologie sehr vielfältig. Mit dem Ziel, die Synthetische Biologie zu vereinfachen und vorhersagbarer zu machen, liegt derzeit ein großer Schwerpunkt auf der Standardisierung, Automatisierung und Computermodellierung. Es gibt sogar eine eigene Sprache für am Computer erstellte biologische Konzepte, die Synthetic Biology Open Language (SBOL).

Potenzielle ethische, rechtliche und soziale Auswirkungen der Synthetischen Biologie und ihrer zukünftigen Anwendungen, z. B. auf das Gesundheitswesen, sind ein wichtiges Thema in Politik und Gesellschaft und werden von stetigen Diskussionen über Nutzen und Risiken hinsichtlich der biologischen Sicherheit begleitet.

Auch weiterhin wird die ZKBS die Entwicklungen im Bereich der Synthetischen Biologie verfolgen. Relevante Veröffentlichungen und eine Risikobewertung dazu werden interessierten Öffentlichkeit regelmäßig auf der Homepage zur Verfügung gestellt.

Literatur

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erschienen: September 2018